Theodor Kalymon


Im Gedenken an

den in Kusterdingen nach dem Urteil

eines SS-Gerichts hingerichteten

Zwangsarbeiter

Theodor Kalymon

*23.09.1922            †12.05.1943

Was war geschehen?

Pfarrer Emil Martin (1934-1950 in Kusterdingen) schreibt in seiner Chronik über die Kriegszeit folgendes:

„Drei Ereignisse, zwei während des Krieges und eines bald nach Kriegsende haben sich unauslöschlich in die Erinnerung der heute lebenden Generation eingegraben. Das erste Ereignis war die Erhängung des ukrainischen Arbeiters Kalymon am 12. Mai 1943. Eine hiesige Familie wollte einen bei ihr dienenden ukrainischen Arbeiter gegen einen anderen auswechseln und gab als Grund an, dass er sich gegen die junge Frau unkorrekt verhalten habe. In Abwesenheit des Bürgermeisters nahm der Landjäger das Protokoll auf; man erwartete, da der Verstoss immerhin geringfügiger Art war, nur eine Arreststrafe für den Ukrainer. Aber zum Entsetzen des ganzen Ortes traf am 10. Mai eine gerichtliche Entscheidung des obersten SS-Gerichts aus Berlin ein, die die Erhängung Kalymons auf den 12. Mai anordnete. Ein Versuch, das Urteil zu revidieren, wurde von Stuttgart aus abgelehnt, da es gegen eine Entscheidung des obersten SS-Gerichts keinen Einspruch gäbe. Tatsächlich wurde das Urteil unter Anwesenheit aller ausländischen Arbeiter der Umgegend vollstreckt. Die Empörung der Bevölkerung war ungeheuer, die Gemüter in einer nie zuvor beobachteten Weise aufgewühlt, da man allgemein das Empfinden hatte, dass ein großes Unrecht hier geschehen war, und da man fürchtete, dass der ganze Ort das gegen den Willen der Bewohner verübte Verbrechen noch werde büssen müssen. Der Name Kusterdingen wurde im ganzen Lande in unrühmlicher Weise bekannt, obwohl die Bevölkerung an dieser Untat unschuldig war.“

Wie und wo fand die Hinrichtung statt?

Am Nachmittag des 12. Mai 1943 fuhr ein Fahrzeug der Gestapo mit einem Galgen auf der Ladefläche über die Tübinger Straße in den Ort hinein. Um 18 Uhr sollte die Hinrichtung durch Erhängen im alten Steinbruch in Kusterdingen stattfinden, bei der alle Zwangsarbeiter der Umgebung anwesend sein mussten. Als Henkersmahlzeit gaben die Gestapo-Männer Theodor Kalymon ein Butterbrot, das er noch an der Hinrichtungsstelle essen musste. Um 18.21 Uhr wurde dem ebenfalls anwesenden Bürgermeister durch die Gestapobeamten der Tod von Theodor Kalymon gemeldet. Sein Leichnam wurde vom Galgen genommen und der Anatomie in Tübingen übergeben. Später wurden seine körperlichen Überreste auf dem Gräberfeld X des Tübinger Stadtfriedhofs begraben.

Wo waren die Zwangsarbeiter in Kusterdingen untergebracht?

Für die französischen Kriegsgefangenen musste die Gemeinde ein gesichertes Lager errichten, in dem die Männer über Nacht untergebracht und bewacht wurden. Dazu wurde das Gebäude der Milchgenossenschaft in der Lindenbrunnenstraße 2 (im Zuge der Neuen Ortsmitte abgerissen) von der Gemeinde gepachtet und baulich entsprechend angepasst. Die Kriegsgefangenen mussten jeden Abend von ihren Arbeitgebern in das Lager zurückgebracht werden, wo sie von Soldaten bewacht wurden.

Am 27. November 1942 wurde diese Form des Lagers aufgelöst, da nun nur noch die sogenannten „Ostarbeiter“ über Nacht im Lager schlafen mussten. Sie erhielten jedoch keine militärische Bewachung mehr. Die Wachfunktion übernahmen nun der Feldschütze und der Ortspolizist.

Jeden Abend mussten die Ostarbeiter zu einer bestimmten Zeit im Lager sein. Nur wenige waren bei den Familien untergebracht, bei denen sie auch arbeiten mussten. Auf Befehl der Reichsregierung sollten die Familien keinen persönlichen Umgang mit den Ostarbeitern pflegen und auch nicht mit diesen am selben Tisch essen oder ihnen Kleidung geben. Es gibt sowohl Zeitzeugenaussagen die davon berichten, dass die Regelungen genau eingehalten und auch durch den Ortspolizisten bewusst überwacht wurden, wie auch dafür, dass Familien die Anweisungen bewusst umgingen.

Wie viele Zwangsarbeiter gab es in Kusterdingen?

Nachdem kriegsbedingt immer mehr Männer von der Wehrmacht eingezogen worden waren, fehlte es allgemein an Arbeitskräften in den wirtschaftlichen und bäuerlichen Betrieben. Um diese Situation zu entschärfen, wurden einigen landwirtschaftlichen Betrieben in Kusterdingen ab 1940 insgesamt 30 französische Kriegsgefangene zugeteilt, die die Familie bei der täglichen Arbeit unterstützen sollten. Diese Kriegsgefangenen wurden dann in Kusterdingen nach und nach durch sogenannte „Ostarbeiter“ abgelöst, die aus den besetzten sowjetischen Gebieten des heutigen Polens, der Ukraine und Weißrusslands stammten. Auf diesem Weg kam auch der in der Nähe von Lemberg (Lwiw) geborene Theodor Kalymon am 16. Mai 1942 nach Kusterdingen. Im Ganzen kamen 15 Ukrainer, 18 Russen und 9 Polen nach Kusterdingen, sodass im Laufe des Krieges insgesamt 75 Zwangsarbeiter in Kusterdingen eingesetzt wurden, darunter neun Frauen. Erst nach dem Einmarsch der französischen Armee am 19. April 1945 wurden die Zwangsarbeiter befreit und über unterschiedliche Sammellager in Lustnau und Tübingen schließlich in ihre Heimatländer zurückgebracht.

Gab es auch in den anderen Dörfern Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter?

In allen fünf Dörfern lassen sich in den historischen Unterlagen Nachweise finden, dass sowohl Kriegsgefangene wie auch Zwangsarbeiter aus Osteuropa zur Arbeit in landwirtschaftlichen Betrieben verpflichtet wurden. In allen Dörfern wurden die Personen zentral untergebracht. Auch sie kamen erst in Folge des Einmarsches der französischen Armee wieder frei.

Warum diesem Ereignis gedenken?

2023 jährt sich die Hinrichtung zum 80. Mal, aber das Wissen rund um die Ereignisse im Mai 1943 stirbt zunehmend mit der letzten Generation der Zeitzeugen aus. Schon kurz nach dem Krieg war an der Stelle, wo der Galgen stand, anonym ein Holzkreuz errichtet worden, das aber im Lauf der Zeit wieder verschwand. Der Gedenkstein soll nun dazu beitragen, die Erinnerung an diese Ereignisse wach zu halten.

Ansprachen zur Einweihung des Gedenksteins

Ansprache von Pfarrerin Fleischer

Ansprache von Bürgermeister Dr. Soltau

Ansprache von Archivar Mozer

Nachfragen oder weitere Informationen:

Gemeindearchiv Kusterdingen, Kirchentellinsfurter Str. 9, 72127 Kusterdingen, archiv(at)kusterdingen.de, Tel.: 07071/ 1308-38